Alle Jahre wieder

 

Fast drei umsatzstarke Monate für den Einzelhandel! 

Viele Regale der Supermärkte sind bereits ab Oktober mit weihnachtlichem Zeug vollgestopft.  Mit einem schier unglaublichen Angebot an Süßigkeiten  wird so mancher Gang sperrig vollgestellt. Es kostet schon einige Mühe, sich an den Stellagen vorbei zu manövrieren. Nicht selten greift man hinein in die Fülle. Erliegt  der Verlockung.

Und das ist pure Absicht. Was uns so verführerisch präsentiert wird, muss schließlich verkauft werden. Unterstützt wird das Ganze durch die nervige Dauerbeschallung. Überall plärrt die gleiche Weihnachtsmusik, deren Texte wir nicht mehr verstehen, weil darin schon lange keine vertrauten Weihnachtsglöckchen läuten, sondern Jingle Bells. An den Kassen wird die Musik auch noch vom Fietschen des Warenscanners begleitet. Es wird weder Aufwand noch Mühe gescheut, unsere Kauflust anzukurbeln. Und so konsumieren wir, beinahe durch den Wolf gedreht und brav, was eigentlich erst gut zwei Monate später auf den „Bunten Tellern“ unterm Weihnachtsbaum  liegen sollte.  Am Weihnachtsabend  sind wir vom Süßkram meist schon restlos übersättigt, um nicht zu sagen, wir haben reizüberflutet und mit einem Zuckerüberschuss  den „Kanal“ gestrichen voll. Der Handel hat die Kassen prall gefüllt.  Aber für uns Verbraucher geht die Vorfreude auf das Fest der Sinne schon Ende November verloren. 

Die Adventszeit war einst mehr als nur das obligatorische Anzünden der Kerzen. Sie war der Beginn einer besonderen Stimmung.   Die kalte Luft der ersten Dezembertage bestand aus einem Potpourri  von Düften des frischen Tannengrüns, vermischt mit den Aromen gebrannter Mandeln, Bratäpfeln, Schokolade, Fettgebäck, Maronen und dem würzigen Geruch des Glühweins. Der Weihnachtsmarkt stimmte uns, als vorfestlicher Höhepunkt,  mit seiner besonderen  Atmosphäre  auf die kommenden Feiertage ein.  Alles war nur kurze Zeit präsent und deshalb wurde es intensiver wahrgenommen.

Ich will ja nicht meckern, aber ich finde schon, dass uns die besondere Einstimmung auf das schönste Fest des Jahres verloren ging. Der Anlauf ist einfach zu lang, deshalb geht die Spannung verloren.

 

Weihnachten, ein Fest, das trotz des immensen Stresses und der Kostspieligkeit ein vielfach überspielt, tieferes Bedürfnis nach einer friedlichen Zeit hat. Abgesehen davon stehen einige arbeitsfreie Tage an. Tage, die wir, entgegen der eigentlich angestrebten Ruhe und Besinnlichkeit, mit reger Betriebsamkeit in den eigenen vier Wänden verbringen.  Weihnachten ist auch die Zeit in der wir verstärkt das Bedürfnis verspüren,  Stunden mit den Eltern, Kindern und Enkeln zu erleben.

Was wäre ein Fest ohne sie? Ohne die glänzenden Augen der Jüngsten, wenn sich die Tür zum festlich geschmückten Zimmer öffnet, sich der Schein der Kerzen in ihren erwartungsvollen Augen spiegelt. Das sind die Momente, in denen sich die Erwachsenen beschenkt fühlen, angesichts der ungespielten Freude, die sich nach der erwartungsvollen Anspannung zeigt. Schon allein dafür hätte wir das Weihnachtsfest erfinden müssen, das wir parallel zu den christlichen Traditionen, jeder auf seine eigene Art und Weise, begehen.  Eine friedvolle Zeit wünscht man sich, die nach Möglichkeit über die Festtage hinaus anhalten sollte. 

Zu meiner Kinderzeit wurde noch emsig am Wunschzettel gearbeitet. Auf dem Heimweg von der Schule nahmen wir gern den Umweg, der am Spielwarengeschäft vorbei führte. Wir drückten unsere Nasen am Schaufenster platt, um von draußen auch in den letzten Winkel des Ladens zu sehen.  Das war die Inspiration, die wir Kinder, angesichts der damals vorherrschenden Knappheit, brauchten. Unsere Eltern gingen zu dieser Zeit noch zum Einkauf in kleine Läden. Die waren kaum größer als das heimische Wohnzimmer, aber mit versierter Beratung und freundlicher Bedienung.

Einkaufstempel gab es noch nicht.

In unserem kindlichen Bestreben lag es, sehr präzise zu Papier zu bringen, was wir uns wünschten. Manchmal komplettierten wir den aufwendig gestalteten Zettel mit dem mündlichen Verweis auf unsere Informationsquelle, oder auf dieses oder jenes Kind, das unser Objekt der Begierde schon besaß. Heute würde man sagen, wir haben unsere Eltern gebrieft, denn  an den Weihnachtsmann glaubten wir schon lange nicht mehr. Diente der doch lediglich dazu, auf Weihnachtsfeiern, nach einem mehr oder weniger gestotterten Gedicht, peinlichst und viel zu gut informiert nach unseren Verfehlungen zu fragen.

Wenig zartfühlend wurden anschließend, umrahmt vom Kerzenschein und duftendem Kakao,  unsere größten Missetaten öffentlich an den Pranger gestellt. Bei dem Gedanken an dieses  gehasste Ritual schüttelt es mich noch heute.

Aber Tradition ist nun einmal Tradition!  Dummerweise sind wir später mit unseren Kindern gleichermaßen verfahren.

Die Einsicht kommt leider viele Jahre zu spät.

 

In unseren Geschenkpaketen, die schön verpackt unter dem Weihnachtsbaum landeten, lagen selten die Sachen, die auf dem Wunschzettel standen. Zum Leidwesen der Kinder entschieden sich die Eltern meist für die praktischen Dinge, die zum Leben notwendig waren. So lagen oftmals  Bekleidungsstücke, gekauft oder selbst gefertigt, Schuhe, ein Kasten Buntstifte oder ähnliches unter der strahlenden Tanne. Natürlich gab es auch mal ein Püppchen, einen Teddy, ein Auto oder einen Kasten mit bunten Steckperlen, welche schon am zweiten Feiertag, meist unerreichbar, unter die Couch gerollt waren. Ein Umstand, der die Möglichkeiten, schöne Muster zu stecken, empfindlich einschränkte. Und trotzdem waren wir glücklich, wenn die Streitereien um den „hässlichen Baum“,  die heftigen Diskussionen über das Menü, sowie über die nicht abgestimmten Einladungen  vorbei waren. Wenn sich dann auch endlich die Tür öffnete, durch deren Schlüsselloch wir Kinder uns seit Stunden vergeblich bemühten, einen Blick auf das zu richten, was sich danach zur traditionellen Zeit in hoch emotionaler Weise über uns ergoss. Das war der Moment, wo sich auch ganz bestimmt in meinen Kinderaugen ein klein wenig der Schein der Wachskerzen widerspiegelte.

 

Wie hat sich doch, angesichts des „Wirtschaftswunders“,  im Laufe der folgenden  Jahrzehnte  das vorweihnachtliche Einkaufsverhalten in Deutschland gewandelt! Heute geht meist die gesamte Familie in ein überdimensioniertes Shoppingcenter.  Man verbringt einige Stunden darin. Keineswegs immer in Eintracht und Frieden, weil die Kinder meist wollen, was den Eltern selten gefällt. Manchmal spricht dann der Geldbeutel das entscheidende letzte Wort und mäßigt die Ansprüche des auf Markenwaren getrimmten Nachwuchses. Die massenhaften Angebote und Möglichkeiten überfrachten uns und statt des bescheidenen Wunschzettels geraten selbst wir Großen in einen Kaufrausch. Durchwühlen jeden Grabbeltisch bis auf den Boden. Weil wir der Ansicht sind, ganz weit unten finden wir das sensationelle Schnäppchen. Dabei gehen wir schon fast strategisch, aber mit Sicherheit, äußerst gründlich vor. Besonders wenn wir uns selbst beschenken.

Sind wir in der Annahme, das gefunden zu haben, was wir zwar nicht unbedingt brauchen, aber was uns einstweilen zufrieden stellt, stehen wir anschließend gefühlte Stunden an der Kasse.  Nur weil vor uns einer seinen Schrabbel auch noch als Geschenk verpacken lässt. In dieser Zeit des Wartens ist man keinesfalls untätig. Es wird neugierig beäugt, was Nebenmann oder -Frau  in den Händen oder im Korb halten. Haben die dann gefunden, was wir schon seit „Ewigkeiten“ suchen, wird erst einmal gefragt, in welchem Regal oder welcher Abteilung der Artikel angeboten wird. Dann verlässt man eiligst die Kassenschlange zur Freude der Nachfolgenden. Rutschen sie doch jetzt einen Platz weiter nach vorn. Für uns beginnt aber erneut das mühselige Prozedere –suchen, -finden, -an-und ausziehen, -diskutieren über eventuelle Preisnachlässe und das  erneute Warten an der Kasse.

 Zuhause stellen wir fest, wir haben uns bekauft! Zu klein, zu groß, falsche Farbe, nicht kombinierbar, einfach nur doof!

Aber wozu gibt es die Möglichkeit des Umtausches nach dem Fest. Spätestens dann rächt sich aber unser fast neurotischer Drang, immer einen Preisnachlass auszuhandeln. Denn reduzierte Waren sind in der Regel vom Umtausch ausgeschlossen. Doch halt!  Es gibt ja noch die Möglichkeit der Kulanz. Also feilschen wir wieder und belegen  das Verkaufspersonal so lange mit unseren Argumenten, bis diese sichtlich entnervt aufgeben, Nur um uns endlich loszuwerden wird ein Storno vorgenommen. So macht das Shoppen Spaß!

 

Geschenke, mit denen sich die Ehepartner gegenseitig beglücken, sind im Laufe der Zeit kostspieliger, aber keineswegs sinnvoller geworden. Früher bekam der Hausherr, genannt „Papa oder Vati“ eine Krawatte, Socken, Hosenträger, Zigarren oder eine Flasche Schnaps. Heute finden wir die Krawatte, unter der Bezeichnung Accessoire und durch den Vermerk  „hochwertige Verarbeitung“ aufgewertet.  Sie steht noch immer ganz oben in der Rangliste. Dazu gesellt sich ein Herrenduft, der ihn in die Lage versetzen soll, die Welt zu erobern, eine Pflegeserie, die er später nicht anrühren wird, ein Hemd oder einen Pulli, welche nicht immer gefallen und einen mehr oder weniger kostspieligen Hochprozentigen.

Bei den Geschenken, über die sich die Frau, früher liebevoll „Mutti“ genannt, in bescheidenen Zeiten freuen konnte, waren  eine Kittelschürze, Kochtöpfe, eine Sammeltasse, Pralinen, Wolle zum Stricken, ein Deckchen für den Couchtisch oder ein Kissenbezug und manchmal auch ein  moderner Gasanzünder.  Pralinen sind noch immer gut im Rennen, dazu ein teures Schmuckstück, Parfum für die Sinnlichkeit, und ganz wichtig, Cremes für die Schönheit und das gepflegte Aussehen.

Männer, die nach wie vor noch eine „Mutti“ als Ehefrau am Arm haben, wählen Tischstaubsauger,  Haartrockner, Saugroboter oder elektrischen Fensterwischer für den Gabentisch aus.

Sind sie nicht reizend, unsere praktisch veranlagten Ehehälften? 

Mutti wird sich freuen!

 

Diese drei Monate des zelebrierten Konsums haben eine eigene Dynamik entwickelt. 

Alles ist blink-blink, groß, schrill, hektisch und laut!

In den Geschäften wird man vom hilfsbereiten Verkaufspersonal  angesprungen, kaum dass man in deren Bereiche vordringt. Sie sind nicht nur vor Ort, sondern regelrecht auf uns Kunden angesetzt. Sie wollen unbedingt behilflich sein, noch bevor wir den ersten Atemzug im Shop gemacht haben und uns richtig umschauen konnten. Außerdem stehen zusätzliche Pappkameradinnen und -Kameraden herum, deren Augen uns, in verhexter Weise, stets und ständig  vorwurfsvoll verfolgen. Egal in welche Richtung wir uns  auch begeben. 

„Was, Du hast noch keine Einkaufstüte?“

Wir werden durch Licht stimuliert und von Aromawölkchen benebelt zum Kauf getrieben.

 

Nichts ist mehr, wie es war!

Selbst beim Weihnachtsschmuck und bei der Deko stehen wir vor einem scheinbaren Problem und fragen uns, was derzeit aktuell ist. Wird der Baum traditionell geschmückt? Wenn nicht, welche Farbe ist in diesem Jahr angesagt? Der Handel erzeugt auch hier den nötigen Druck. Wechselt er doch hinsichtlich des Baumschmuckes jährlich die Farben und Formen. Wer nicht blöd aussehen will, hält da mit.

Scherenschnitte, Strohsterne, vergoldete Walnüsse und buntes Zuckerwerk? Auf keinen Fall!

Man kann sich ja schließlich andere Dinge leisten, Traditionen hin oder her!   

Bei einem sind wir uns aber alle einig. Bleilametta kommt nicht in Betracht. Nur die ganz Alten halten an dieser unzeitgemäßen Tradition fest. Nehmen seit Jahrzehnten nach den Feiertagen Faden für Faden vom Baum, bewahren sie in vergilbten Schachteln auf, um sie im darauffolgenden Jahr, geglättet und aufgebügelt, erneut zu verwenden. Das sind Ihre Traditionspflege und ihre Nachhaltigkeit der besonderen Art.

 

Ja, das ist nur eine kleine Reflektion auf das, was war und das was ist. Vielleicht sollte man auch einen Blick in die Zukunft werfen. Wie könnte es sein? Ist es nicht sinnvoller uns etwas Zeit zu schenken? Anstatt voll beladen mit Kartons bei der Familie oder den Freunden aufzuwarten. Einfach mal sagen, „Lasst uns die Festtage gemeinsam verbringen!“  

Das kann man beim gemeinsamen Zubereiten eines Festmahls und einer zeitgleichen heiteren Unterhaltung, beim Spaziergang danach, beim fröhlichen Spiel, dass man als Überraschungspaket aus der Tasche holt.

Wichtig ist doch, dass man  zuhört, dass man sich in die Unterhaltung einbringt, sich nicht evtl. mit einem Buch, dem PC, dem Fernsehapparat oder gar dem Handy beschäftigt. Keine verhackstückten SMSen verschickt, sondern sich Zeit nimmt, für ein persönliches Gespräch, auch am Telefon, wenn es denn nicht anders geht.

Auch mal die Antwort auf die Frage: „Wie geht es dir?“,  ehrlich und interessiert abwartet.  Sich die Zeit nimmt, auf die geschilderten Befindlichkeiten des Befragten zu antworten.

 

Was ich meine ist, schieben wir doch wenigstens zum Fest die Oberflächlichkeit und die Gewohnheit, uns mit Floskeln zu umgeben, bei Seite. Seien wir einfach mal das, was wir sind, Nämlich in erster Linie Menschen und erst in zweiter Linie Konsumenten!

In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern eine gute Adventszeit, ein gelungenes friedvolles Weihnachtsfest, einen fröhlichen Jahresausklang  und einen guten Start in das Jahr 2020.

 

Ihre/Eure    Veronika