Weihnachtsbotschaft

Christmette!

Nie wurden mir in so wenigen Stunden die Gegensätze im Verhalten der Menschen veranschaulicht, wie an einem Heiligen Abend in Köln. Da ich viele Jahre in in dieser Stadt lebte lag nichts näher, als gemeinsam mit der Familie den Tag, der für viele von uns auch einen Sinn außerhalb der christlichen Botschaft erfüllt, mit einer Mitternachtsmette im Dom ausklingen zu lassen.

Liegt bereits an gewöhnlichen Tagen ein Hauch von Mystik über dieser unglaublich schönen und in ihrer Größe beeindruckenden Kathedrale, so ist die Stimmung zu Weihnachten eine ganz besondere. Obwohl ich keiner Glaubensrichtung angehöre, anfänglich aus Unkenntnis auch mit der Liturgie fremdelte, wurde ich doch jedes Mal zu Weihnachten von dieser feierlichen Stimmung und der baulich fulminanten Ausstrahlung eingefangen. Bei den Messen überließ ich gern den Gläubigen das Gestühl für ihre Gebete, begab mich etwas in den Hintergrund und stand, der Predigt und den Gesängen andächtig lauschend, mit vielen anderen Menschen zwischen den mächtigen Säulen dieses Sakralbaus. Während besagter Mette, von der ich erzählen möchte, wanderte mein Blick durch die Reihen der Dombesucher, heftete sich mal an diesen und mal an jenen und schließlich an ein reiferes Paar, dass in warmen Pelzen verpackt im Dom- Gestühl seinen Platz eingenommen hatte. Sie fielen mir auf, weil ihr Äußeres optisch so gänzlich aus der Masse herausstach. Dann wandert der Blick in eine andere Richtung und fingt ein noch sehr junges Paar ein. Die Frau saß im Rollstuhl, der Mann stand hinter ihr. Seine Hände lagen auf ihren Schultern, vielleicht zum Schutz, zum Trost, oder einfach nur aus Liebe. Während des Gebetes rannen ihm Tränen über das Gesicht. Ich war sehr ergriffen, wünschte mir in diesem Moment, beide tröstend in den Arm zu nehmen. Gern hätte ich mich mit aufrichtigem Herzen ihren Gebeten und Bitten angeschlossen. Etwas später lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf einen Mann, der sich durch die stehende Menschenmenge drängte. Er nahm in der Bankreihe neben der Frau mit dem imposanten Pelz Platz. Ein Obdachloser, der gerade noch vor Beginn der Mette vor der Tür der Kathedrale stand und bettelnd, nein, eher doch verschämt bittend, die Hand aufhielt. Von den einströmenden Massen aber auch von mir zuvor nur flüchtig beachtet, bekam er, vielleicht gerade wegen seiner Zurückhaltung, den einen oder anderen Euro zugesteckt. Nun also im Dom, falteten Armut und Reichtum auf der gleichen Bank nebeneinander sitzend die Hände zum Gebet. Ich überlegte, wie weit werden wohl die Wünsche und Hoffnungen dieser drei Menschen voneinander entfernt sein? Die Dame war bereits dich an ihren Mann herangerückt. Nicht etwa, um für den Zuspätkommenden Platz zu machen. Nein, ihr ging es sichtlich um eine deutliche Distanz.

Im Verlauf der Andacht hob sie häufiger ihre rechte Hand, betrachtete einen breiten und vermutlich kostspieligen Ring an ihrem Finger. Die Freude über dieses Schmuckstück war ihr deutlich anzusehen. Spiegelte sich doch in der opulenten Anzahl  funkelnder Steine die Festlichkeit der flackernden Altarkerzen dieser Nacht. Vielleicht war der Ring sogar ein erfüllter sehnlichster Wunsch, der noch wenige Stunden zuvor unter ihrem geschmückten Weihnachtsbaum lag.

Kardinal Meisner betonte in der Predigt seine tiefe Entrüstung über die Maßlosigkeit menschlicher Gier und über die Rücksichtslosigkeit mit der Reichtum zu Lasten der Armen angehäuft und schamlos zur Schau gestellt wird. Er wetterte von seiner Kanzel herab über die bittere Not, die in vielen Ländern, aber auch hierzulande herrscht und über die Notwendigkeit das egoistische Verhalten endlich zu ändern. Es soll in der Welt gerechter zugehen und jeder kann dazu beitragen. Das war sein Aufruf, seine Botschaft in dieser Nacht, die sich mit Weihrauch, dem Atem der Menschen und vielleicht auch mit guten Vorsätzen vermischte.   In den Nachrichten des WDR wurde seine Worte tags darauf als eine außergewöhnlich aufrüttelnde Predigt bezeichnet. Man darf schon sagen, er hat uns allen kräftig die Leviten gelesen und Impulse zum Nachdenken mit auf den Weg gegeben. Obwohl ich mich auf das gesprochene Wort konzentrierte, wanderte mein Blick wieder und wieder durch die Reihen. verfingt sich erneut in einer Gruppe Asiaten, die reichlich angetrunken und beständig kichernd und schwatzend ihre Kameras auf alles und jeden hielt. Ein kurzes Räuspern, ein scharfer Blick, dann herrschte Ruhe. Sie hatten verstanden. Durch diese Ablenkung entging mir, dass Mann und Frau im Pelz die Plätze tauschten und beide, obwohl sie in der gleichen Reihe sitzend oder betend niederknieten, sich vom Obdachlosen demonstrativ abwandten. Es roch wohl doch zu sehr nach Armut an diesem Ort im Moment der inneren Einkehr und Besinnung. Die Messe fand ihren Abschluss mit dem Satz „Friede sei mit Dir!“ Eine sehr sinnvolle Geste, bei der dem Nebenstehenden zur jeweiligen rechten und linken Seite die Hand gereicht wird, als Zeichen der Achtsamkeit für die Nächsten. Neben uns feierte eine spanische Familie die Heilige Messe, deren Mitglieder nun reihum jeden umarmten und abdrückten, der gerade greifbar war. Dieser aufrichtigen Herzlichkeit konnte und wollte man sich nicht entziehen und erwiderte es mit gleicher Freundlichkeit. Und wiederum fiel mein Blick auf die Bank des anscheinend gut situierten Paares. Doch die waren so plötzlich verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Der Platz neben dem Obdachlosen war verwaist. Herr und Frau Pelz stahlen sich noch vor der Kollekte aus dem Gestühl und aus dem Dom. Aber was war das? Während sich einige Leute abwendeten als die Kollekte sich ihrem Platz näherte, ließ der Obdachlose von dem was ihm zuvor einige Leute vor dem Domeingang in die Hand drückten, etwas in den Sammelkorb gleiten. Viele der Umstehenden haben das mit Erstaunen, aber auch mit Bewunderung registriert. Da gibt einer vom Wenigen was er besitzt auch noch etwas für andere Bedürftige. Während Meisner die Anwesenden segnete, die Monstranz durch das lange Kirchenschiff getragen wurde, haben sich einige Leute besonnen und dem armen Menschen, der mit uns diese Messe zu Weihnachten feierte, Geld und somit auch ein Stück ihres guten Herzens zugesteckt. Das hat mich sehr beeindruckt.

Nun leerte sich der Dom allmählich, untermalt vom vollen festlichen Weihnachtsgeläut des „Dicken Pitters“, der Petersglocke im Südturm.

Am Nebeneingang pustete schon ein lackschwarzer 750 BMW eine blaue Abgaswolke über die Domplatte. Die Tür öffnete sich, Kardinal Meisner trat heraus, stieg in den Fond seiner Luxuskarosse und ließ sich, wie er zuvor bemerkte, zu seiner eigenen Geburtstagsfeier in den ersten Feiertag chauffieren. Ich sah dem vorbeifahrenden Auto nach, dachte an die eindringlichen Worte seiner Predigt und an den erstmals begriffenen tieferen Sinn des Spruches. „Wehe denen, die öffentlich Wasser predigen und statt dessen heimlich Wein trinken!“

Zuhause angekommen, klang unser Heiligabend in den frühsten Morgenstunden des ersten Feiertages mit einer großen Portion Nachdenklichkeit und einem gepflegten Glas Rotwein aus.

Ja und nun liegen die Kölner Zeit und diese Domgeschichte schon weit zurück, Kardinal Meisner, einst Erzbischof von Köln, weilt nicht mehr unter uns. Wie es dem jungen Paar geht? Ich hoffe doch, es hat sein Glück gefunden und der Rollstuhl gehört zur Vergangenheit. Das gutsituierte Paar, an dem die Weihnachtsbotschaft so gänzlich abprallte, muss hoffentlich nicht aus dem bitteren Kelch der Armut trinken und der spanischen Familie wünsche ich, dass sie sich die überschwängliche Herzenswärme gut bewahrt und dass es allen in dieser von Pandemie und Krieg geprägten Zeit gut geht.

In diesem Jahr wird die Christmette wieder mit den Einlasskontrollen beginnen. Ich habe das Bild von damals vor Augen und frage mich, ob auch dieses Mal die Armen und Obdachlosen einen Zugang finden werden? Obwohl ich in meiner Kölner Zeit mehrere Christmetten besuchte, erinnere ich mich immer wieder an die eine, in der eine scharfe und beachtenswerte Predigt manches Herzen berührte aber auch das Herz einiger weniger so sichtbar verfehlte.

Ich wünsche allen eine frohe, besinnliche Weihnacht und beste Gesundheit in einem hoffentlich friedvollen Jahr 2023!

Ihre/Eure

Veronika